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Kidslife · das Elternmagazin

Die Zukunft unserer Kinder wird verbaut

Deutschland verdummt

Wir brauchen eine Bildungsoffensive

Michael Winterhoff ist Kinder- und Jugendpsychiater. In seiner Praxis hat er es immer öfter mit nicht altersgemäßer Persönlichkeitsentwicklung und fehlenden Fertigkeiten im emotionalen und seelischen Bereich bei den Kindern zu tun.  Auf der Suche nach dem tatsächlichen Ausmass und den Ursachen dieser Entwicklungen, macht er eine Hauptursache in Elternhaus und Bildungseinrichtungen aus: es fehlt den Kindern an festen Bindungen und Kontaktpersonen. 

Anhand dieser These analysiert er die Verhältnisse in den Familien und Bildungseinrichtungen und kommt zu ernüchternden Befunden:

Die Familie

Die pädagogischen Vorstellungen vieler Eltern und die Ansprüche an ihre Kinder sind immer öfter ungeeignet, das Kind innerhalb fest gesetzter Grenzen seine Persönlichkeit frei zu entwickeln zu lassen. Es wird überbehütet, auf Augenhöhe erzogen und unterfordert. Die persönliche Zuwendung wird durch technische Geräte ersetzt, so dass dem Kind die notwendige Spiegelung und Korrektur am erwachsenen Vorbild vorenthalten bleibt. Die Folge sind Rückstände im Sozialverhalten, fehlende intrinsische Motivation und immer öfter das Stehenbleiben auf einem Stand frühkindlicher Entwicklung. Wir erleben Jugendliche und Erwachsene mit den Entwicklungsmerkmalen von 3-5jährigen Kindern.

Kindergarten und Schule

Die öffentlichen Bildungseinrichtungen, die die Defizite der familiären Erziehung ausgleichen könnten, sind so organisiert, dass das Kind hier wieder eine Situation vorfindet, in der es auf sich gestellt ist. Ihm werden Entscheidungen überlassen, wann es was machen oder lernen möchte.

Ein völlig falscher Ansatz und ein Verrat an unseren Kindern, findet der Autor. Besonders im Vor- und Grundschulalter benötigen die Kinder eine erwachsene Kontaktperson, an der sie sich orientieren können. Die dem Kind Werte vermittelt, sein Verhalten korrigiert und Herausforderungen stellt, an denen es wachsen kann. Kinder lernen für diese Kontaktpersonen und wollen von ihnen bewertet werden. Offene Kindergartengruppen und Unterrichtsformen enthalten den Kindern diese wichtigen pädagogischen Mittel in ihrer derzeitigen Ausführung, den Beobachtungen des Autors zufolge, vor.

Hinzu kommt eine Verschärfung dieser Situation durch den Einsatz digitaler Techniken, die Michael Winterhoff in den Kindergärten und Grundschulen für generell deplaziert hält. Er würde einem Kind unter 11 Jahren auch privat kein digitales Endgerät zur Verfügung stellen.

Wie weiter?

Die Diagnose ist beängstigend, der Befund ernüchternd, aber Heilung ist möglich. Der Autor skizziert 5 Punkte, die seiner Ansicht nach unverzüglich umzusetzen wären, um eine Bildungskatastrophe ungeahnten Ausmasses in naher Zukunft zu verhindern.

Von der Bildungspolitik fordert er

· eine ehrlich-nüchterne Analyse des Status quo und

· Massnahmen, die die Betreuung und Unterweisung in Kindergarten und Schulen wieder an Kontaktpersonen orientieren,

· sowie strukturelle Massnahmen zur besseren materiellen und personellen Ausstattung der Schulen und Kindergärten.

· Eltern und Pädagogen sollen Kinder unter 11 Jahren von digitalen Geräten fernhalten. (Eine Forderung, deren Berechtigung mittlerweile durch hunderte Studien zweifelsfrei erwiesen ist.)

Eltern haben durch unsere demokratischen Schulformen die Möglichkeit, die Entwicklung an der Schule ihrer Kinder zu beeinflussen. Sie sollten diese Möglichkeiten im Interesse ihrer Kinder nutzen.

Sarrazin der Bildung

So hat man Herrn Winterhoff in einer Besprechung seines Buchs in der “Zeit” bezeichnet. Der Rezensent unterstellt dem Autor eine generell ablehnende Haltung gegenüber modernen Unterrichtsmethoden und masslose Übertreibung bei der Beschreibung der Situation.

Wenn man die Beschwerden der Hochschulen und Lehrbetriebe über die Entwicklung und den Bildungsstand der heutigen Jugendlichen aufmerksam studiert, kann man wohl kaum von Übertreibung sprechen. Zudem hat Michael Winterhoff an keiner Stelle seines Buches eine grundsätzliche Ablehnung offener Gruppen und Lernmethoden artikuliert. Im Gegenteil. Was er aber als Defizit der neuen pädagogischen Formen aufzeigt, ist der Rückzug der Bezugspersonen Erzieher und Lehrer. Hier sieht er den dringenden Bedarf an Korrekturen. Daß er sich offen für die Beibehaltung bewährter Mittel wie Wiederholung von Lernstoff oder Hausaufgaben ausspricht, empfinde ich persönlich nicht als anstößig.

Die Erfahrung lehrt, dass Bücher wie dieses vor allem von Menschen gelesen werden, die mit den Hauptthesen übereinstimmen und sich mehr oder weniger bereits so verhalten, wie der Autor es sich wünscht.

Ich empfehle dieses Buch all den anderen. Dringend!

Andreas Schmid

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