Iss, Kind! – der „gute“ und der „schlechte“ Esser
Letzte Woche im Restaurant: Eine junge Mutter und eine Oma sitzen mit einem etwa fünfjährigen, sichtbar nicht unterernährten Jungen am Tisch. Der Ober serviert dem Kleinen einen üppig gefüllten Teller. „Das schaffst du locker!“, reagiert die Mutter auf den skeptischen Blick ihres Sohnes.
Mit einigen freundlichen und sicherlich auch gut gemeinten „Na, noch ein bisschen…“ und „ Da passt doch noch was rein…“ schafft der Kleine es schließlich auch und erntet dafür ein tüchtiges Lob von seiner Mutter und Oma. Selbst der Kellner stimmt in die Lobeshymnen ein und übergibt dem „guten“ Esser anschließend einen dicken Lolli zur Belohnung.
Und was hat das Kind nun daraus gelernt? Wer viel isst, kann mit Lob und Anerkennung rechnen, denn viel Essen ist eine stramme Leistung! Wer aufisst ist brav und gut, wer wenig oder gar nicht mag ist böse und schlecht. Angesichts der Tatsache, dass viele Menschen Probleme mit ihrer Figur haben, weil sie einfach viel zu dick sind – und das nicht nur bei Erwachsenen, sondern im vermehrten Bereich auch schon bei den Kindern, ist dies sicherlich eine völlig falsche Botschaft, die dort – ob bewusst oder unbewusst – übermittelt wird.
Um die Erkenntnis des Übergewichtes und dessen verehrenden Folgen und Ausmaße, wird viel und heftig debattiert: Sinn und Unsinn von Diäten, Fast Food Ernährung, zuviel Computer und Fernsehen – zu wenig Bewegung. Weit aus weniger Beachtung finden da Gewohnheiten und Bewertungen, die wir schon – ohne groß darüber nachzudenken – von unseren Eltern übernommen haben und auch an unsere eigenen Kinder weitervermitteln. Und genau diese unbewusste Bewertung beeinflussen die Einstellungen und Gewohnheiten der Kinder genauso wie Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung.
Noch immer sind zahlreiche Eltern (und insbesondere Großeltern) davon überzeugt, dass kleine Kinder „zu schlecht“ essen und man sie deswegen ständig ermahnen und ermuntern muss mehr und viel zu essen. Ein dünnes Kleinkind wirkt beängstigend und kränklich, häufig herrscht noch die Meinung, dass ein Kleinkind ordentlich was „zum Zusetzen“ haben muss, falls es mal krank wird.
Tatsächlich gibt es auch noch Eltern und Großeltern, die meinen, die Nachbarn könnten denken, man ernährt sein Kind nicht richtig, wenn es zu dünn ist. Doch sind dann aus den Kleinkindern erst mal Schulkinder geworden, so sieht die Sache meistens ganz anders aus.
Viele Kinder erleben und erfahren, dass die Erwachsenen ständig über ihre Figur klagen. Ganz besonders Mädchen bekommen sehr genau mit, dass ihre Mütter ständig die eine oder andere Diät machen. Da ist es kaum verwunderlich, dass sich bereits neunjährige Mädchen viel zu dick finden – selbst die, die es wirklich nicht sind – und sogar schon einige (oftmals erfolglose) Diäten ausprobiert und hinter sich gebracht haben. Schon früh machen sie die Erfahrung, dass Essen ein Problem darstellt und das es riskant ist, einfach das zu essen, was man mag. In nicht wenigen Fällen folgt dann mit der Zeit, nach lustvollem Essen, das schlechte Gewissen und manchmal auch der Wunsch, das Ganze lieber rückgängig zu machen. Der Weg zu einer Essstörung ist oftmals nicht mehr weit und hat gerade in den letzten Jahren erschreckend zugenommen.
Mehr Selbstbestimmung
Sicherlich essen Kinder nicht immer stetig und ausgewogen. Nach Appetitlosigkeit folgen vielleicht Phasen großen Hungers und Essvergnügens. Mal sind Pommes und Würstchen die absolute Lieblingsspeise und wenig später wird dann Gemüse und Fleisch zum erklärten Leibgericht. Das ist auch in Ordnung – solange natürlich ein vielseitiges Angebot zur Verfügung steht und auch genutzt wird. Doch muss deswegen Essen in der Erziehung zu einem Problem werden? Sollten wir unsere Kinder nicht einfach, das essen lassen, was sie mögen und vor allen Dingen wie viel sie mögen?
Kinder wissen in der Regel was sie brauchen, kein gesundes Kind wird verhungern oder fehl ernährt, wenn man nicht ständig darauf achtet, dass es zur richtigen Zeit das Rechte und in der passenden Menge zu sich nimmt. Selbst die kleinsten Kinder haben schon ein recht zuverlässiges Gefühl dafür, wann sie satt sind und was sie essen wollen. Wenn man sie darin unterstützt, sich dieses Gefühl bewusst zu werden und darauf zu achten, anstatt sich immer wieder einzumischen und zu „mehr“ Essen aufzufordern, dann sind sie auch in der Lage ein vernünftiges Essverhalten zu entwickeln.
Eltern sollten Essen und Nichtessen nicht zum Machtkampf werden lassen, denn sie tun gut daran, sich mit weniger Eifer um die Ernährung ihres Kindes zu bemühen.
Hier haben wir noch einige Tipps zusammengestellt, die den Kindern und natürlich den Eltern, dabei behilflich sind, ein „gesundes“ Verhältnis zum Essen zu entwickeln.
Es genügt, wenn Eltern ihren Kindern ein vielseitiges Angebot an gesunden Nahrungsmitteln anbieten. Kinder sollten mit der Erkenntnis aufwachsen, dass man nicht Essen muss, sondern darf. Es ist weder gut noch schlecht, viel oder wenig, oder bevorzugt dies oder jenes zu essen.
Die Kinder sollten nicht ständig zum Aufessen gedrängt werden. Lieber sollten sie aufgefordert werden, sich selbst zunächst wenig aufzutun, und nachzufordern, wenn sie noch mehr möchten.
Das natürliche Gefühl nach den Bedürfnissen der Kinder sollte gestärkt werden, indem man nicht ständig mit Essen „nachläuft“, wenn das Kind überhaupt keinen Hunger hat. Fragen wie: „Hast du Hunger?“ oder „Möchtest du eine Banane essen?“ sind statt dessen wesentlich förderlicher.
Es sollte darauf geachtet werden, dass das natürliche Gefühl der Kinder nicht „verbilden“ wird, wenn z.B. schon Babykost mit viel Zucker versehen ist, wird zu viel Süßes angeboten, mögen Kinder weniger Süßes bald weniger oder wenn wir nur Büchsengemüse anbieten, lehnen Kinder das „mühsame“ Kauen von frischem Obst und Gemüse bald ab.
Statt zu Hungern – wenn ein Kind tatsächlich zu dick ist – sollte lieber die Ernährung überdacht werden und die gesamten Familiengewohnheiten, ohne dabei das Problem des Kindes zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken, verändert werden. Gemeinsame Unternehmungen mit viel Bewegung und sportliche Aktivitäten mit der ganzen Familie sind wesentlich förderlicher, als ein Kind mit Diäten „zu belasten“. Bewegen Sie sich mit, ernähren Sie sich gesund und sein Sie Ihren Kindern ein gutes Vorbild!
Antje Szillat
Buchtipp:
Der kleine Sporticus: Bewegungs- und Ernährungstipps, die Kinder fit machen, von Ingo Froböse und Peter Großmann