Wege zum Ruhm
Die Familie saß komplett versammelt am Abendbrottisch und flinke Kinderfinger klaubten Aufschnittscheiben aus den ALDI-Packungen.
„Meine Lieben“, begann ich, zugegeben etwas pathetisch, eine Ansprache. „Wie ihr ja wisst, ist euer Vater nun seit fast drei Jahren arbeitslos. Deshalb sind wir auch so bitter arm…“ Kevin schwenkte den erhobenen Arm, wie in der Schule.
„Ja, Kevin?“
„Wie die Eltern von Hänsel und Gretel!“ rief er triumphierend.
„Nur, dass ich noch keinem Jäger den Auftrag gab, euch in den Wald zu führen!“ Meine Tochter widersprach mit vollem Mund: „Das mit dem Jäger war bei Schneewittchen. Hänsel und Gretel wurden von ihren Eltern in den Wald gebracht.“ Ich sah meine Frau auffordernd an. Sie sprach mit Engelsstimme, das neunmalkluge Kind fest im Blick: „Vanessa kennt sich aus mit Märchen deshalb weiß sie auch, dass bei den armen Eltern von Hänsel und Gretel der Tisch nicht so reich gedeckt war, wie bei uns hier. Bei uns ist bis jetzt noch keiner verhungert.“
Um die Bedenken des Kindes noch mehr zu zerstreuen, ergänzte ich: „Wir würden euch nie in den Wald bringen. Da sind doch heute überall Wege und Schilder, Ihr wärt ja in einer Stunde wieder daheim.“
Das überzeugte wohl, aber Theo, der Älteste, hatte ganz andere Befürchtungen: „Was ist denn nun mit arbeitslos und arm? Mein Taschengeld kannst du nicht mehr kürzen. Das ist eh schon fast auf Null.“ Ich strafte ihn mit meinem legendären Eisblick und nahm den Faden wieder auf.
„Nein, ich denke darüber nach, wie wir gemeinsam Geld verdienen können. Überlegt doch auch einmal! Was kommt euch so in den Sinn, wenn ihr an Geld verdienende Familien denkt?“
„Die Familie Corleone.“ Theo natürlich.
„Rothschilds“, fielen meiner Gattin ein.
„Nun, ich dachte eigentlich weniger an Verbrecher, weder vor noch hinter den Bankschaltern. Nennt mir doch mal eine Familie, die etwas macht, was wir auch machen könnten.“ Alle grübelten und ich nutzte die Gelegenheit die letzten beiden Putenbrustscheiben auf meinen Teller zu balancieren.
„Na gut“, ich zog den Teller näher zu mir ran, stützte die Ellenbogen so auf den Tisch, dass meine Beute gesichert war und machte ein triumphales Jetzt-kommt´s-Gesicht.
„Ich denke da zuerst an die Kelly-Family!“
Meine Frau verschluckte sich fast und die Kinder sahen ratlos aus der Wäsche.
„Ihr werdet doch wohl die Kelly-Family kennen, verdammt noch mal. Jedes Arschloch kennt die!“
„Aber wir nicht!“ Der reine Trotz sprach aus allen drei Gesichtern.
Ich beschloss, taktisch klug vorzugehen. Mit dem Tonfall eines Märchenerzählers fing ich an:
„Die Kellys waren bitter arm, so wie wir, bis der Vater eines Tages seine Frau und seine Kinder nahm und auf der Straße mit ihnen Musik machte. Das gefiel den Leuten so gut, dass sie denen Riesenbeträge in die Mützen warfen. Die Kellys gehören heute zu den ganz Reichen. Eins, zwei, ratz, fatz waren die richtig reich. Nur mit Singen!“
„Du sagst doch immer, du willst gar nicht reich sein und Eigentum ist Diebstahl und so.“
„Wir können ja aufhören, wenn wir fast reich sind. Oder weiter singen und das Geld den Armen geben.“
„Wenn du auf der Straße singst, dann geben dir die Armen Geld, damit du still bist.“ So etwas nennt sich Ehefrau! Aber ich ließ nicht locker.
„Wir könnten vorm Reichstag singen. Die Regierung will doch die Familien entlasten. Die können mit uns anfangen und uns auf dem Nachhauseweg entlasten, indem sie uns was in den Hut werfen! Und dann kommt vielleicht so ein Musikmanager vorbei und hört uns und wittert das Geschäft seines Lebens. Oder wir kommen direkt ins Abendfernsehen und am nächsten Tag ist hier die Hölle los vor lauter Kamerateams und Reportern. Die Nachbarn werden es nicht glauben, aber wenn wir dann in unser neues Auto steigen und der Chauffeur uns zum Essen ins Hotel fährt, kriegen die die Pocken vor Neid.
Mutti, du musst zum Friseur, bevor es los geht und ihr Kinder übt schon mal einen lässigen Gang und ein Lächeln wie ein Star. Oh man, wir brauchen einen Tresor und verlässliche Leibwächter. Frau, wir müssen einen Ehevertrag aufsetzen, gleich morgen und eine Privatschule für die Kinder finden…“
Inzwischen hatten die Kinder den Tisch abgeräumt und waren in ihrem Zimmer verschwunden. Ihre Mutter rumorte in der Küche. Ich saß da wie doof.
Wer weiß, vielleicht ist das mit dem Singen nicht das Wahre und ich sollte erst mal ein bischen Amok laufen.