Selbstverteidigung für Kinder – welche Kampfsportart passt zu mir?
Selbstverteidigung für Kinder
Text: Martina Voigt-Schmid
Jonas, 6, schaut gerne Jackie Chan Filme. Jackie ist cool. Er ist witzig, sympathisch und lässt sich von keinem in die Suppe spucken. Obwohl er überraschend menschlich rüberkommt, kann er sich spielend gegen mehrere Gegner zur Wehr setzen und macht dabei immer eine gute Figur. Jackies Kampfkunst ist faszinierend – so etwas möchte Jonas auch gern können.
Souveräne Körperbeherrschung, sauber platzierte Schläge und Tritte und eine Art zu kämpfen, die bei allem Ernst beinahe spielerisch wirkt. Pipi Langstrumpf ist auch stark, aber, sie ist eine Märchengestalt und ihre Kraft ist angeboren. Hinter Jackies Überlegenheit hingegen steckt hartes Training und die Technik traditioneller Kampfstile. Auch Jackie hat einmal klein angefangen. Was er kann, können andere auch lernen. Jonas kämpft gerne, meistens einfach nur zum Spaß, wie die meisten Jungs seines Alters, und seine Mutter Sabine Weber, 38, hält es für eine gute Idee, ihn bei einem Kampfsportverein anzumelden.
Aber, Kampfsportarten gibt es viele, und welche ist für Jonas am Besten geeignet? In erreichbarer Nähe der Wohnung der Familie Weber z. B. gibt es Judo, Taekwondo, Kickboxen und Karate. Selbstverteidigung ist bei allen das Ziel, aber sie unterscheiden sich durch die angewandten Techniken. Bei Karate und Taekwondo stehen präzise Schläge und Tritte im Vordergrund, die aber auch in traditionelle Formen eingebunden sind, die Katas. Ebenso beim Kickboxen, das aber stärker auf Wettbewerb ausgerichtet ist. Beim Judo wird vor allem das Werfen und Fallen trainiert, ein Bodenkampf auf der Matte. Die meisten Vereine bieten Training für Kinder an, manchmal auch nach Alterstufen getrennt.
Wie gut der Unterricht in den einzelnen Vereinen oder Schulen auf Kinder eingestellt ist, wie die Trainer ausgebildet sind und ob man ihnen vertrauen kann, sowie ob einem die Mitglieder sympathisch sind lässt sich nicht pauschal beantworten. Man sollte das Kind nach seinen Interessen fragen und dann unter Umständen bei verschiedenen Vereinen oder Schulen einen Probetermin ausmachen. Manchmal muss man Verschiedenes ausprobieren, um den Kampfsport zu finden, der am besten zu einem passt. Meistens dürfen die Kinder mehrere Stunden am Training teilnehmen, ehe sie sich zu einer Mitgliedschaft entschließen und dann auch einen eigenen Anzug und Gürtel kaufen müssen. Vereine haben meist eine deutlich günstigere Kostenstruktur als private Schulen und es lohnt sich, die Preise zu vergleichen.
Jonas möchte es am liebsten einmal mit Karate versuchen, das er aus dem Film „Karate Kid“ kennt. Wir haben uns darüber mit Meister Shadow vom Kodokaner Dojo Mainz e. V. in Mainz unterhalten.
Interview mit Karatemeister Shadow
Ab welchem Alter können Kinder mit dem Karatetraining anfangen – und ist das Alter für alle Kampfsportarten ähnlich?
Grundsätzlich können Kinder erste Bewegungsabläufe des Karate lernen, sobald sie einige Übung im Sprechen und im Laufen haben. Dies gilt ebenso für andere Kampfsportarten. Bevor aus diesen Bewegungsabläufen jedoch tatsächlich erste Ansätze einer Kampfkunst entstehen, vergehen einige Jahre. Die Kunst des Kampfes ist nicht vor Beginn der Pubertät zu erlernen.
Wie profitieren Kinder vom Karate-Training – und ist das Training für sie anders als das für Erwachsene?
Kinder lernen in ihrem Training nicht den Ernst des Kampfes kennen. Karate begleitet sie in ihrer Entwicklung und hilft Ihnen, sich sportlich, agil, fit und selbstbewusst zu entwickeln. Dementsprechend gestaltet sich das Training für sie verspielter. Es bereitet sie vor allem auf das tatsächliche Training der Kampfkunst Karate in späteren Jahren vor, indem die Kinder Beweglichkeit und Stärke, sowie typische Bewegungsabläufe trainieren.
Wie sieht der Ablauf eines typischen Trainings aus?
Ein typisches Karatetraining ist schwer zu definieren. In heutiger Zeit in unserem Umfeld geht der Trend zwar stark dahin, jedes Training ähnlich aufzubauen und möglichst alle zu trainierenden Aspekte in jedem Training zu berücksichtigen. Ein solches Training besteht dann meistens aus: Aufwärmen/Dehnen – Grundschule (das Üben grundsätzlicher Techniken) – Kumite oder Kata (Partnertraining oder Schattenkampf) – Krafttraining. Um ein umfassend geschulter und kompetenter Karateka zu werden ist es allerdings nötig, bestimmte Aspekte gesondert und besonders ausdauernd zu trainieren. Jeder Mensch hat seine Schwachstellen, die er erkennen und trainieren muss. Gerade die Kampfkunst Karate zeigt in ihrer umfassenden und vielfältigen Beanspruchung des Körpers sowie des Intellekts diese Schwachstellen immer wieder auf. Wer nicht aktiv an diesen arbeitet (z.B. Kraft, Ausdauer, Dehnung, Kreativität), bleibt irgendwann in seiner Entwicklung stehen und tut sich schwer, besser zu werden.
Welche Fähigkeiten werden beim Karate am meisten trainiert – und wird auch eine bestimmte Philosophie vermittelt?
Karate macht aus demjenigen, der es intensiv trainiert, einen anderen Menschen. Ein solcher Karateka kennt die Beweglichkeit fast aller Gelenke in seinem Körper, die Kraft jedes Muskels und die Belastbarkeit der Sehnen und Knochen. Dieses sehr gute Körpergefühl ist neben hoher grundsätzlicher Fitness, Agilität und Kraft die herausragende Fähigkeit des Karateka. Er tut sich daher leicht, jedwede Form der Bewegung zu erlernen, sei es Golf, Fußball, Tanzen oder sonstwas. Ähnliches gilt für seinen Intellekt. Die Kunst des Kampfes ist zum großen Teil abhängig von einem wachen und kreativen Intellekt. Ein guter Karateka ist weit von einem unreflektierten und unüberlegt handelnden Straßenschläger entfernt. Er ist sich seiner Gefährlichkeit bewusst und sieht die körperliche Auseinandersetzung als letztes, möglichst zu vermeidendes Mittel an. Er sucht vielmehr nach Wegen, die Herausforderungen des Lebens unter Erhaltung seines Stolzes und seiner Würde friedlich zu meistern.
Wie lange dauert es etwa, bis man sich mit Karate wirkungsvoll verteidigen kann?
Es gibt Menschen, die jahrzehntelang von sich sagen, dass sie Karate trainieren, ohne dass sie jemals den Punkt erreichen würden, sich selbst wirkungsvoll verteidigen zu können. Es gibt Menschen, die sich bereits wirkungsvoll verteidigen konnten, bevor sie angefangen haben, Karate zu trainieren. Eine pauschale Aussage ist schwer zu treffen. Trifft ein motivierter, in jeglicher Form des Kampfes bis dahin unerfahrener Schüler auf einen engagierten Sensei (Meister), sollte er nach einigen Jahren intensiven Trainings auch gegen stärkere oder mehrere Gegner gut für sich selbst dastehen können.
Worauf sollten Eltern achten, wenn sie einen Verein oder eine Sportschule für ihr Kind auswählen?
Derjenige, der sein Können und Wissen weitergibt ist zum größten Teil derjenige, der es in der Hand hat, was die Kinder lernen und wie sie sich entwickeln. Beim Karate, wo nicht ab und an je nach Saison der Trainer gewechselt wird, sonder ein Sensei (Meister) seine Schüler meist die gesamte Zeit der Ausbildung begleitet, gilt dies umso mehr. Bei der Wahl des Vereins oder der Sportschule gilt also: Kenne den Sensei und du kennst die Schule!
Wann hast Du selbst mit Karate angefangen – und – bist Du schon mal in die Lage gekommen, dich selbst verteidigen zu müssen?
Ich habe vor über 15 Jahren mit Karate angefangen. Seitdem habe ich mich oft behaupten müssen und einige Situationen erlebt, die kurz vor der Eskalation waren. Ich habe diese Situationen gemeistert, ohne jemanden verletzen zu müssen. In meinen Kreisen scheinen die Leute meistens zu spüren, dass ich niemandem etwas Böses will, aber man mich trotzdem besser respektvoll behandelt. Das tun sie dann auch.
Selbstverteidigung für Kinder – Übersicht über die verschiedenen Kampfsportarten
Judo
Judo stammt aus Japan und bedeutet wörtlich „Siegen durch Nachgeben“ beziehungsweise die Kunst, eine maximale Wirkung durch ein Minimum an Aufwand zu erzielen. Auf Matten werden das Werfen, das Fallen und der Bodenkampf trainiert – gut zum Austoben auch für Kleinere, die gerne Ringen. Judo ist nicht nur Kampftechnik, sondern auch ein Weg zur Persönlichkeitsentwicklung. Die Schüler üben das gegenseitige Helfen und Verstehen zum beiderseitigen Fortschritt sowie den bestmöglichen Einsatz von Körper und Geist. Ab dem Alter von etwa fünf Jahren können Kinder beginnen.
Karate
Bei der waffenlosen Kampfsportart mit Wurzeln im Zen-Buddhismus lernt man vor allem Schlag-, Stoß-, Tritt- und Blocktechniken sowie Fußfegetechniken. Karate trainiert Kondition, Beweglichkeit, Schnelligkeit und eine generelle Belastbarkeit. Jedes Karatetraining beginnt und endet traditionell mit einer kurzen Meditation, die den friedfertigen Zweck der Übungen zum Ausdruck bringt. Dies lässt auf eine Tradition als Weglehre schließen, auch wenn das heutige Training meist mehr nach modernen sportlichen Gesichtspunkten ausgerichtet ist. Kinder können ab dem Alter von etwa 5 Jahren mitmachen.
Taekwondo
ist ein Kampfsport aus Korea. Obwohl Taekwondo für den laienhaften Betrachter große Ähnlichkeiten mit anderen asiatischen Kampfsportarten aufweist, unterscheidet es sich in einigen wesentlichen Punkten von diesen. So ist die Taekwondo-Technik sehr auf Schnelligkeit und Dynamik ausgelegt, was nicht zuletzt durch den Wettkampf bedingt ist. Im Taekwondo dominieren Fußtechniken deutlicher als in vergleichbaren Kampfsportarten.
Wing Tsun
Wing Tsun ist ursprünglich ein alter Boxstil aus China, wörtlich übersetzt bedeutet es „schöner Frühling“. Der Legende nach war das der Name einer von zwei Frauen, die dieses Selbstverteidigungssystem im Training mit Mönchen des berühmten Shaolin-Klosters entwickelt haben.
Aikido
Aikido ist eine moderne japanische Kampfkunst, die betont defensiv ausgerichtet ist – offensive Angriffstechniken werden hier nicht gelehrt. Im Aikido lernt man, mit Wurf- und Haltetechniken die Kraft eines gegnerischen Angriffs abzuleiten und sich diese Kraft intelligent zu nutze zu machen. Der Gegner soll vorübergehend angriffsunfähig gemacht werden, ohne ihm dabei Verletzungen zuzufügen. Disziplin und Gehorsam werden groß geschrieben. Allerdings ist Aikido eine der schwerer erlernbaren Kampfkünste, und man braucht Geduld und viele Jahre der Übung, um sich damit wirksam verteidigen zu können.
Ju Jutsu
Ju-Jutsu bedeutet „sanfte Kunst“ und vereint Elemente aus Aikido, Judo und Karate. Aus diesen traditionellen Kampfkünste wurden die für das neue System am besten geeigneten Techniken genommen, und an die Bedürfnisse des Ju-Jutsu angepasst. Im Vordergrund des Trainings steht echte Selbstverteidigung. Durch das offene, moderne und effektive Konzept wurde Ju-Jutsu schnell beliebt unter den Bediensteten von Polizei, Bundesgrenzschutz und Zoll, die es als waffenlose Selbstverteidigung in ihrer Behörde kennen lernten. Von den Behörden aus eroberte es dann die Sportvereine, und bald entstanden verschiedene Dachverbände, die bundesweit Ju-Jutsu Angebote organisierten.