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Kidslife · das Elternmagazin

Mein Elternabend

Als ich am frühen Abend den Schulhof betrat und meinen Blick über die Betonfassade wandern ließ, hatte ich sofort ein schlechtes Gewissen. Hier, an diesen trostlosen Ort schickst du dein Kind jeden Tag! Diese ramponierte Steinwüste ist es, was das zarte Wesen nach einer Fahrradfahrt durch den kühlen Morgen in der Dämmerung erwartet?! Da steht man doch lieber mit einem Bier am Kiosk! Aber wahrscheinlich soll das ja genau darauf vorbereiten.

Ich betrachtete die Graffiti und Sprüche an den Wänden. Hat sich mein Spross hier auch verewigt? Vielleicht noch mit einem grausam peinlichen Rechtschreipfehler? Eine so potthässliche Schule zu beschmieren, ist sicherlich nicht die originellste Art der Meinungsäußerung, aber auf keinen Fall als Sachbeschädigung zu bewerten. So dachte ich gerade als ich die ersten Eltern vor dem Eingangstor bemerkte.Was jetzt? Einfach dazustellen oder jemanden ansprechen? Das Problem löste sich von selbst, indem eine Mittvierzigerin in Jeans und Blazer mich ansteuerte.

„Sie sind der Vater von …?“ „… Kevin Schmid-Ohren“. Die Klassenlehrerin! Ich studierte aufmerksam ihre Miene. Sie verriet keine Regung bei der Nennung von Kevins Namen. Hat die sich jetzt cool im Griff oder benimmt der sich hier anders als zu Hause? Na ja, wir werden ja gleich mehr erfahren! Ich ging mit den anderen Eltern in einen Klassenraum. Der Raum war hell und groß, die Möbel leicht schrottig, aber immer noch besser als bei uns daheim. An den Wänden hingen Schülerzeichnungen, eine hässlicher als die andere. Von Kevin konnte ich, Gott sei Dank, keine entdecken. Die Tafel war noch vom letzten Unterricht beschrieben. Leider hatte jemand die Tische im Karree aufgestellt, so dass ich mich nicht auf Kevins Platz setzen konnte, um mal wieder wie ein Schüler zu ticken.

Wir setzten uns auf die etwas zu kleinen Stühle und die Streber-Eltern holten Schreibzeug aus ihren Taschen. Ich hatte natürlich nicht an so etwas gedacht, aber schließlich verfüge ich über ein fehlerfreies Gedächtnis. Die meisten Eltern und nicht nur die Frauen, hatten sich für den Abend extra gekleidet. Wie für einen Theaterabend oder so etwas. Aus Respekt vor dem Lehrer? Oder um ihren Fummel vorzuführen? Ich hatte meinen Trainingsanzug an, schließlich ist das meine Freizeit. Die Haare hatte ich gegelt, das geht schneller als Waschen und da es zu spät zum Duschen geworden war, hatte ich aus Rücksicht auf meine unmittelbaren Platznachbarn ordentlich desodoriert. Man weiß ja schließlich, was sich gehört. Der Kevin hat auch immer saubere Sachen an, wenn er in die Schule geht, darauf achten wir. Meine Frau steht morgens sogar extra auf und macht ihm einen Tee, obwohl sie, wie ich, im Bett bleiben könnte.

Jetzt wurde es lauter, denn eine Mutter hatte sich über die Menge der Hausaufgaben beschwert und irgend so ein Glatzkopf meinte wohl, er müsste jetzt die Lehrerin verteidigen. Ich verstehe die Debatte nicht. Zu viel, zu wenig. Ich könnte mich nicht erinnern, Kevin jemals bei Hausaufgaben erwischt zu haben. Als ob die Quälerei in der Schule nicht reichen würde. Kevin weiß schon genau, was er will: zur Bundeswehr. „Dafür brauche ich nur eine gute Note in Sport. Ich will ja nicht General werden.“ Recht hat er. Als ob es beim Schießen nützt, gut in Ethik zu sein! Die Lehrerin sprach mich plötzlich an. Warum Kevin so oft zu spät kommen würde. „Weil ihr zu früh anfangt!“, sagte ich und sah sie trotzig an. „Ihr Sohn will doch mal zur Bundeswehr, dann muss er aber auch früh raus.“ Sie schaute triumphierend in die Runde. Ich stellte nüchtern fest: „Ja, dann!“

Nachdem ich das gesagt hatte, sah sie mich noch eine Weile erwartungsvoll an, aber für mich war das Thema beendet. Die anderen Eltern wirkten irgendwie bedrückt. Das hat die Kuh davon, hier die Stimmung zu versauen. Ich klaubte mir eine Zigarette aus der Packung und wie nicht anders zu erwarten, kam sofort der Hinweis, dass „wir hier nicht rauchen“. Also schraubte ich mich aus dem Stuhl und ging hinunter vor das Schultor. Als ich da so stand und qualmte, bekam ich plötzlich einen tierischen Durst. Ein Bierchen beim Egon am Kiosk und dann kommst du wieder her, beschloss ich und war spontan aufgeheitert. Na ja, es wurde dann etwas später, so dass ich dachte, die haben bestimmt schon Schluss gemacht mit ihrem Quatschsalon und deshalb gleich nach Hause ging. Es gibt ja Leute, die fahren die paar Meter zur Schule mit dem Auto. Das habe ich nie gemacht, auch nicht, als ich noch einen Führerschein und ein Auto hatte.

„Und?“, fragte meine Frau am nächsten Tag. „Was, und?“ „Benimmt er sich in der Schule?“ „Wenn er da ist …“ Gespräch beendet. Ich hasse es, so ausgequetscht zu werden. Wenn die das so interessiert, soll sie sich doch selber mal den ganzen Abend in die Schule hocken!

A. Schmid-Ohren

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