Zwischen Normalität und Autismus: Das Asperger Syndrom
Kinder mit Asperger Syndrom brauchen viel Einfühlungsvermögen für ihre Besonderheiten. Heilbar sind solche autistischen Störungen nicht, doch das Beispiel des kleinen Robin zeigt, wie Früherkennung und therapeutische Maßnahmen den Kindern helfen, sich in eine Gemeinschaft zu integrieren.
Robin (6) schiebt eine Holzeisenbahn durch die Wohnung. Dabei folgt er einer genau festgelegten Strecke. Wenn seine Mutter ihn auffordert, das Spiel zu unterbrechen , weil das Abendessen fertig ist, reagiert er erst gar nicht. Wird seine Mutter energischer ist er schnell verstört und völlig außer sich. Dass Kinder mit Wut und Trotzanfällen auf elterliche Wünsche oder Verbote reagieren, kennen fast alle Eltern. Doch bei Robin liegt der Fall anders. Seine tiefe Verstörtheit und Frustration und die absolute Fixierung auf sein Vorhaben sind typische Merkmale des Asperger-Syndroms.
Der lange Weg zur Diagnose
Da die Symptome sehr diffus und in Art und Ausprägung individuell sehr unterschiedlich sein können, ist die Früherkennung oft schwierig und der Weg zur Diagnose mitunter weit. „Robin war ein sehr pflegeleichtes Baby; er schrie und weinte wenig, war in seiner körperlichen und motorischen Entwicklung zunächst völlig unauffällig“, berichtet seine Mutter Julia.
Robins Begutachtung durch Fachleute begann mit der U7, also im Alter von knapp zwei Jahren, als zunächst eine verzögerte Sprachentwicklung und motorische Ungeschicklichkeiten augenfällig wurden. Über die Untersuchungen beim Kinderarzt hinaus wurden Hör- und Sehtests vorgenommen und schließlich ein Frühdiagnosezentrum hinzugezogen. Dennoch wurde die Diagnose „Asperger Syndrom“ erst getroffen, als der Junge bereits im fortgeschrittenen Vorschulalter war.
Für Robins Mutter begann schon früher ein mitunter zäher Kampf um ergotherapeutische und logopädische Behandlungen. Außerdem drängte sie darauf, dass ihrem Sohn für den Besuch eines Regelkindergartens eine Einzelintegrationskraft zur Seite gestellt wurde. Hierbei handelt es sich in der Regel um eine Pädagogin oder Erzieherin, die das Kind einige Stunden pro Woche spielerisch bei der Eingliederung in die Kindergartengruppe unterstützt.
Zurückgezogen in der eigenen Welt
Während Robin sich zu Hause unbefangen verhält und oft auch laut und ungestüm ist, zog er sich im Kindergarten auffallend zurück. Von sich aus nahm der kleine Blondschopf, keine Kontakte zu anderen Kindern auf und er fühlte sich der großen Gruppe nicht wirklich zugehörig. Beim ersten vom Kindergarten mitgestalteten Familiengottesdienst stand Robin nicht auf, setzte sich nicht, klatschte und sang nicht mit den anderen Kindern, sondern nur auf gesonderte Aufforderung. Während seiner gesamten Kindergartenzeit hat Robin einen einzigen Jungen als seinen Freund bezeichnet. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass auch dieser Junge das Asperger Syndrom hat.
„Wie anstrengend der Alltag mit einem Asperger-Kind sein kann, ist für Außenstehende kaum zu erkennen“, erzählt Robins Mutter. „Allein der Geräuschpegel und die hohen, schrillen Töne, die autistische Kinder häufig von sich geben, sind eine immense Belastung.“ Diese typischen Töne sind ein Ergebnis der mangelnden Eigen- und Körperwahrnehmung von Kindern mit Asperger-Syndrom. Sie helfen ihnen, sich selbst zu hören und zu spüren. Die Kinder schätzen ihre Lautstärke und auch ihre Körperkräfte anders ein als ihre Umwelt – das macht zum Beispiel auch eine spaßhafte Rauferei mit einem autistischen Kind problematisch.
Auf einem guten Weg
Inzwischen besucht Robin die Diagnose- und Förderklasse der Grundschule, wo er in einer Gruppe von nur zwölf Kindern den Regelschulstoff erwirbt und nach zwei Jahren in die dritte Klasse der Regelschule wechseln soll. Durch die verschiedenen Therapien (Ergotherapie für Motorik und Geschicklichkeit, Sprachtherapie und Einzelintegration im Regelkindergarten) ist er viel aufgeschlossener und flexibler geworden. Er mischt sich ein, nimmt auch von sich aus Kontakte auf (sehr unmittelbar und ungestüm), fühlt sich als Teil seiner Klasse und hat einen Sprachschatz, der sich von seinen Altergenossen kaum noch unterscheidet. „Es sieht so aus, als seien wir auf einem guten Weg“, meint Julia. „Wir sind uns aber immer bewusst, dass das Asperger Syndrom nicht heilbar ist. Robin selbst sagt wiederholt, dass er ‚immer träumt’ – das bedeutet für mich, dass er die Diskrepanz zwischen seiner Realität und der Welt, in der er leben muss, inzwischen selbst empfindet. Ganz wichtig ist deshalb für ihn und andere betroffene Kinder, dass man respektvoll und einfühlsam mit ihren Besonderheiten umgeht.“
Informationen über Asperger-Autismus
Das Asperger Syndrom zählt zum breiten Spektrum autistischer Störungen, die die kommunikativen und sozialen Fähigkeiten betreffen. Gemeinsam ist allen Autisten der Hang zu stereotypen Verhaltensweisen, das zwanghafte Festhalten an Ritualen und festen Abläufen sowie ein vermindertes Einfühlungsvermögen und eine eingeschränkte Selbstwahrnehmung. Nach neuesten Forschungsergebnissen ist Asperger – wie auch Autismus im Allgemeinen – genetisch bedingt. Asperger wird als relativ leichte Form des Autismus betrachtet, da die betroffenen Kinder (von 10.000 Kindern sind acht bis 48 betroffen; etwa 75 Prozent davon sind Jungen) oft gut ansprechbar und motivierbar sind. Im Gegensatz zu anderen Autisten zeigen Asperger-Betroffene häufiger auch motorische Ungeschicklichkeiten, dafür aber seltener Sprachstörungen. Gelegentlich tritt Asperger-Autismus auch in Kombination mit anderen Störungen (etwa ADHS) auf oder Symptome überschneiden sich.
Tipps für Eltern
• Wenn Sie unsicher sind, ob ihr Kind möglicherweise vom Asperger Syndrom oder einer anderen autistischen Störung betroffen ist: Gehen Sie zum Kinderarzt! Je früher desto besser. Informieren Sie sich umfassend (zum Beispiel beim Bundesverband oder bei anderen betroffenen Eltern) und scheuen Sie keine Nachfragen!
• Lassen Sie sich umfassend beraten, welche Therapie die richtige für Ihr Kind ist.
• Tauschen Sie sich mit anderen betroffenen Eltern aus, die verstehen ihre Probleme im Umgang mit dem Kind am besten und haben oft gute Tipps für den Alltag.
• Betroffenen stehen verschiedene Fördermöglichkeiten zu (Therapien, Förderkindergärten, Diagnose- und Förderklassen, die auf einen erfolgreichen Übertritt in die Regelschule nach zwei oder drei Jahren abzielen, (Einzelintegrationshilfen sind z.B. in Bayern eine über den Regierungsbezirk zu beantragende Sozialleistung)). Nutzen Sie sie – und kämpfen Sie dafür.
• Ganz wichtig: Nehmen Sie Ihr Kind und seine Besonderheit ernst – loben Sie seine besonderen Fähigkeiten und seine Fortschritte – und zeigen Sie ihm, immer wieder dass sie es lieben.
• Asperger-Kinder können sehr anstrengend sein. Tun Sie deshalb möglichst viel für sich selbst und die eigenen Nerven. Vor allem aber bleiben Sie ruhig und gelassen und vergessen Sie nie: Ein Asperger-Kind lehnt uns nicht ab, es tickt einfach ein bisschen anders!
Buchtipps
• Dr. Christine Preißmann: Asperger – Leben in zwei Welten
TRIAS Verlag, Stuttgart. 2012 19,99 €
• Tony Attwood: Das Asperger Syndrom. Ein Ratgeber für Eltern. Trias-Verlag, 22,95€
• Ole Sylvester Jorgensen: Asperger Syndrom zwischen Autismus und Normalität. Beltz Taschenbuch, 10,90€
• Peter Vermeulen: Ich bin was Besonderes. Verlag Modernes Lernen, 2002, 21,50€
• Mark Haddon: Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone. Omnibus Taschenbücher 7,95€ (Roman über ein Asperger Kind)
Wertvolle Links
Diego – ein autistisches Kind ein mutmachendes Beispiel
• www.autismus.de (Website des Bundesverbandes zur Förderung von Menschen mit Autismus e.V., Bebelallee 141, 22297 Hamburg, Telefon 040/511 56 04, Fax: 040/511 08 13 mit Links zu Landes- und Regionalverbänden)
• www.aspies.de (Selbsthilfeorganisation Aspies e.V)
• www.aspie.net (von Betroffenen für Betroffene)
• https://autismus-kultur.de (von Betroffenen für Betroffene)