Pubertät
Ich bin dann mal weg
Freiheiten einräumen und Grenzen setzen – wenn die Kinder in die Pubertät kommen, beginnt für Eltern eine schwierige Zeit
Wie lange darf die Tochter abends ausgehen? Wie viel Freiheit und wie viel Kontrolle sind richtig? Jugendlicher Freiheitsdrang stellt Eltern vor viele Fragen. KidsLife fragte den renommierten Familien- und Kommunikationsberater Jan-Uwe Rogge, wie Eltern den Spagat zwischen Begleitung und Loslassen bewältigen können.
„Ich bin dann mal weg … und sage dir ganz bestimmt nicht wohin!“
Wie schaffen Eltern den Spagat zwischen „sich Sorgen machen“ und dem flügge werdenden Nachwuchs „gehen lassen und vertrauen zu schenken“?
Zunächst einmal muss man zwischen zwei Arten von Pubertierenden unterscheiden. Die einen, die durchaus sagen, wohin sie gehen und wann sie zurückkommen und natürlich die anderen, die das zunächst einmal, aus welchen Gründen auch immer, nicht machen. Ich glaube man muss sehr aufpassen, die Pubertierenden nicht alle über einen Kamm zu scheren – dazu stellt sich Pubertät doch zu unterschiedlich dar.
Was das Weggehen betrifft, so muss man sicherlich auch unterscheiden, zwischen Pubertierenden in einer Großstadt oder Pubertierende die beispielsweise auf dem Land leben. Ich glaube, das sind auch zwei sehr unterschiedliche Situationen, auf die Eltern sich einzulassen zu haben.
Wenn der Pubertierende in einem überschaubaren Raum weggehen und ich ihn diesen Raum aufgrund meiner Erfahrung beobachten kann, muss und kann ich einfach anders reagieren, als wenn die Kinder sich in einer Großstadt aufhalten und durchaus auch diesem „Jungle“ der Großstadtgefahren ausgesetzt sind. Man kann da einfach nicht sagen „mach es so oder so“, es kommt auf sehr viele Faktoren an. Ein letzter Faktor ist schlichtweg auch, wenn ich einen 14-Jährigen habe, kann ich diesen 14-Jährigen nicht mit anderen 14-Jährigen vergleichen. Es gibt 14-Jährige die sind sehr temperamentvoll, sehr eigenständig, sehr autonom, sehr selbstbewusst und mit denen muss ich völlig anders umgehen, als möglicherweise demjenigen, der eher introvertiert ist – zurückgenommen ist, der nicht so selbstständig und autonom ist.
Was können sie Eltern raten, die vor Sorge um ihren Nachwuchs weder ein noch aus wissen, aber nicht in der Lage sind, ein Gespräch mit ihrem Kind zu führen?
Das ist kein Problem. Es gibt einfach Eltern die das nicht können. Dann finde ich es aber wichtig, dass es eine andere erwachsene Bezugsperson gibt, die dies übernimmt. Zur Pubertät gehört auch immer, dass man gemeinsam mit dem Kind darüber nachdenkt, wer in kritischen Phasen – in kritischen Fragen Ansprechpartner sein kann. Das kann Oma oder Opa sein, genauso wie die Patentante oder der Patenonkel sein. Wenn Eltern nicht in der Lage sind ein Gespräch mit ihrem Kind, aus welchen Gründen auch immer, zu führen, dann ist es ein Zeichen von Souveränität, diese Aufgabe auch abgeben zu können.
Oftmals arten Abnabelprozesse in reine Kraftakte aus – Beleidigungen und Beschimpfungen treten häufig als Begleiterscheinung auf. Sollte man als Eltern nachsichtig sein und sich „alles“ gefallen lassen, oder wo sind die Grenzen?
Auseinandersetzungen gehören dazu – auch heftige Auseinandersetzungen gehören dazu. Und wenn diese Auseinandersetzungen sehr heftig sind, dann gilt es auch, wenn es von meiner Seite aus kommt – also von Seiten des Erwachsenen – sich zu entschuldigen. Ich warne davor, immer alles auf die Pubertierenden abzuschieben – sie ständig an den Pranger zu stellen.
Es sind ja genauso auch die Eltern, die sich häufig in ihrer Wortwahl und in ihren Strafen einer gewissen Maßlosigkeit hingeben. Umgekehrt gilt natürlich auch, den Pubertierenden gegenüber klare Grenzen zu formulieren. Ich würde das aber nicht im Augenblick der Auseinandersetzung machen, sondern dann, wenn sich die Situation beruhigt hat, noch einmal ganz klar meine Position als Vater oder als Mutter verdeutlichen. Das fällt dann natürlich wesentlich leichter, wenn ich selber den Kindern vorgelebt habe, dass man auch in der Lage ist sich zu entschuldigen.
Immer locker bleiben – 7 Tipps für Eltern
Der Drang, Grenzen zu überschreiten und ohne Kontrolle durch die Eltern die Welt zu entdecken, gehört zum Erwachsenwerden dazu. Er ist sogar notwendig. Denn nur so können junge Menschen die Sicherheit entwickeln, die Sie benötigen, um sich im Leben zu behaupten.
Sagen Sie Ihrem Kind, dass Sie sich Sorgen um es machen, wenn es spät in der Nacht noch unterwegs ist. Aber seien Sie sich auch darüber im Klaren, dass das Ihre Angst ist. Und dass Ihr Kind Ihre Ängste nicht zu seinen machen muss.
Versuchen Sie aber erst gar nicht, bei Ihrem Kind mit Ihrer Angst Schuldgefühle zu erzeugen. Es wird deswegen ohnehin keine Rücksicht auf Sie nehmen.
Die Kunst für Sie als Eltern besteht darin, einerseits Ihrem Kind einen Vertrauensvorschuss zu geben, um seine Eigenverantwortung zu stärken und so wenig Kontrolle wie möglich auszuüben.
Geben Sie Ihrem Kind daher zu verstehen, dass Sie ihm vertrauen. Aber machen Sie ihm klar, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Vereinbaren Sie deshalb großzügige Zeiten, wann es spätestens zu Hause sein soll. Wenn es doch später werden sollte – wozu gibt es Handys?
Stellen Sie vernünftige Regeln auf und seien Sie flexibel bei der Einhaltung.
Geben Sie beim Konflikt um Freiheiten ruhig auch mal nach und gönnen Sie Ihrem Kind das Gefühl, Sie „besiegt“ zu haben.
Mehr zum Thema: https://www.kidslife-magazin.de/leben-arbeiten/hungern-fuer-die-bikinifigur/
Buchtipps:
Jan-Uwe Rogge: Pubertät. Loslassen und Haltgeben.
Rowohlt Taschenbuch, 8,95 Euro
Beltz Taschbuch, 17,90 Euro
Ulla Atzert: Homo pubertensis. Tipps zum störungsfreien Umgang mit Heranwachsenden
Fischer Taschenbuch, 7,95 Euro
Peer Wünschner: Grenzerfahrung Pubertät. Neues Überlebenstraining für Eltern
Eichborn Taschenbuch, 13,95 Euro